Mein Kunde und ich – eine kleine Beziehungs-geschichte
Jaja, das waren noch Zeiten, damals nach dem Krieg, oder dem Mauerfall, als es nichts gab und der Markt für diejenigen, die etwas verkaufen wollten, so einfach war wie das kleine Einmaleins.
Die Mechanik kennen wir aus der Steinzeit: Suche das Mammut, finde das Mammut, erlege es und schleife es nach Hause. Mit anderen Worten, bringe irgendwas auf den (leergefegten) Nachkriegs-(oder Nachwende-)Markt, und du wirst es auf jeden Fall los.
Man könnte sagen, der Kunde war das Schaf, es hatte Hunger, man fütterte es, fertig.
Das hat super funktioniert – so lang bis die Mammutwiese leer war, also alle Bedürfnisse gestillt.
Auftritt Marketing. Die Mechanik entspricht der einer klassischen Romanze, und sie bedient sich derselben Begriffe: Potenzielle Käufer werden zum „Zielobjekt“, dann werden sie so lange „umworben“, bis man sie „gewonnen“ hat. Damit sie bei einem bleiben, werden sie abwechselnd mit Verunsicherung und Lob gefüttert, und wenn das nicht mehr reicht, denkt man sich neue Bedürfnisse aus, und verspricht deren Erfüllung.
Plötzlich ist der Kunde „die Angebetete“, das Unternehmen „der Kavalier/Märchenprinz“, der es umwirbt, gewinnt, und die Beziehung durch immer neue Impulse am Leben hält.
Das ist erstmal spannend und unterhaltsam, aber auf Dauer ganz schön mühsam. Und es hat den Nachteil, dass selbst die gutgläubigsten Zielobjekte irgendwann merken, dass sich das versprochene Glück irgendwie leer anfühlt, so leer wie ihr Bankkonto. Wenn dann auch der Unterhaltungswert nachlässt, ist Schluss mit der Masche.
Ungefähr da befinden wir uns heute. Es gibt hier und da noch ein paar Mammutjäger, zum Beispiel Waffenhändler oder Drogenbosse. Und das klassische Marketing gibt sich wirklich Mühe, erfindet neue Tools und wildert in angrenzenden Bereichen, wie der Politik, oder dem Arbeitsmarkt. Aber die Zielobjekte langweilen sich und sind unberechenbar geworden.
Sie nehmen ihr Leben selbst in die Hand und glauben nicht mehr alles, was man ihnen erzählt. Vor allem aber können sie sich den Wettlauf mit der Selbstwert-Maschinerie gar nicht mehr leisten.
Zeit für Phase drei: die freiwillige Zusammenarbeit. Kooperation unter Freunden. Vertrauen statt Manipulation oder Co-Abhängigkeit. Eine Beziehung auf Augenhöhe zwischen gleichwertigen Partnern.
Dafür müssen Unternehmen sich nicht länger mit der Zielgruppe, sondern mit sich selbst befassen. Ihre Fehler erkennen und zugeben und sichtbar an ihnen arbeiten. Erhobenen Hauptes zu sich selbst stehen. Nichts vertuschen, nichts verheimlichen, sondern die Fehler der Vergangenheit integrieren und sich bessern. Das klingt moralisch, und das ist es auch, denn anders wird er nicht funktionieren, der Vertrauensaufbau. Denn Kooperation ist nun mal freiwillig, und der Wunsch nach Autonomie seitens beider Partner die Basis für einen respektvollen Umgang miteinander.
Vom Mammut/Schaf über das naive Dummchen zur selbstbestimmten Autorität über das eigene Leben. Die Emanzipation hat stattgefunden, und die Erwartung ist eine neue. Es wird Mut und innere Stärke brauchen, sie zu erfüllen, ständige Weiterentwicklung und die Bereitschaft zur Veränderung. Wer das nicht mag, muss wohl wieder einen Krieg anzetteln.