Das Unglück vom So-sein-wollen
Markenessenz bedeutet, das, was man ist, auch nach außen sichtbar zu machen. Eins zu eins. Das verkauft sich unheimlich gut, das wollen alle haben. Bis zu dem Punkt, an dem es um die totale Selbstehrlichkeit geht. Mit allem, was man ist, und allem, was man nicht ist. Mit guten und schlechten Seiten, mit Qualitäten und Schwächen.
Und dann gibt es bei jedem Menschen den Punkt, wo er lieber nicht mehr hinschauen möchte. Da gibt es etwas, das will man auf keinen Fall sein. Und da gibt es etwas anderes, das man auf jeden Fall sein will (aber nicht ist).
Von außen betrachtet erscheint das erstmal total absurd. Wir sind ja alle gern individuell, weil wir uns dann besonders fühlen. Besonders humorvoll, oder besonders vielseitig, oder besonders mitfühlend. Und wir sind auch alle gern so wie die anderen, weil wir dann dazugehören. Zu den BVB-Fans, den Schuhkäuferinnen oder den Tatort-Guckern. Oder zu den Rebellen und Punks, die alle zusammen nicht dazugehören.
Grundsätzlich haben wir also verstanden, dass wir Gemeinsames mit anderen brauchen, aber auch individuelle Eigenschaften, die nur wir haben. Warum fällt es uns dann so schwer, zu sein, wer wir sind?
Ich habe mal bei einem fünftägigen Workshop mitgemacht, bei dem es darum ging, Antworten auf die Frage “Wer bist du?” zu geben, die einem dort immer und immer wieder gestellt wird. Interessanterweise haben wir alle aber eine ganz andere Frage beantwortet, nämlich: “Wer könntest du sein?”. Das ging dann so: “Momentan bin ich nicht so gut drauf. Das liegt daran, dass…. (“…es im Job nicht läuft”, “…ich noch single bin”,”…mein Freund mich so nervt”, “…ich zu klein/dick/krank bin”)”.
Mit anderen Worten: “Ich bin nur gerade nicht ich selbst, weil die Umstände nicht passen. Aber wenn ich die erstmal alle auf die Reihe gekriegt habe, dann kann ich mich total entspannen und ganz ich selbst sein. So lange ich mich suche, kann ich mich allerdings erstmal nicht einlassen, weder auf einen Partner noch auf einen Berufsweg, und schon gar nicht auf größere Verbindlichkeiten, wie Heirat, Familie, Hausbau oder Firmengründung. Weil ich ja nicht ich selbst bin, und dann steh ich da, hab den falschen Job, den falschen Ort oder den falschen Mann”.
Das kann man ewig so weitermachen.
Aber funktioniert es wirklich? Woher weiß man denn, dass nicht ein besserer Job oder Mann um die nächste Ecke kommt? Wie glücklich ist “glücklich genug”? Wann ist die Suche beendet? Was ist überhaupt das Ziel, und woran erkenne ich, wenn ich es erreicht habe?
Im Markenessenz-Prozess gibt es einen Punkt, da ist man angekommen. Da gibt es den Moment, wo alle Wunschvorstellungen, Illusionen, Sehnsüchte und Selbstlügen sich aufgelöst haben, und wo klar wird: Das ist es, wofür ich stehe. Und das fühlt sich nicht etwa an wie Silvester und Weihnachten zusammen, sondern ganz ruhig. Es fühlt sich normal an und einfach. Wie nach Hause kommen.
Bei manchen dauert es lang, bis sie dort sind, bei anderen geht es schneller. Aber absolut jeder kann diesen Punkt erreichen. Das hat nichts mit Selbstoptimierung zu tun, sondern mit dem Loslassen von Konzepten, Ideen und Vorstellungen, die man von sich selbst hat.
Es gibt kein richtig oder falsch, kein besser oder schlechter. Es gibt im Grunde nur eine Frage, um festzustellen, ob man auf dem richtigen Weg ist:
Funktioniert es?
Fühlt es sich gut an? Macht es Spaß? Bringt es mich meinen Zielen und Wünschen näher? Bin ich stolz auf mich? Mag ich meine Freunde? Habe ich ein schönes Leben?
Falls nicht: probier etwas Neues. Egal was. Und schau, ob es funktioniert. Und irgendwann, nachdem du schon Wochen und Monate nicht mehr dran gedacht hast, schau dich um in deinem schönen Leben und sag dir: Aha! Das bin ich also.